Mein Leben mit dem Alkohol – Ein Ego-State erzählt

Hallo, ich bin der Tröster.

Ja, das klingt vielleicht ein wenig dramatisch, aber das ist genau das, was ich bin. Mein Job? Dem Menschen Trost zu spenden und Erleichterung zu verschaffen. Wie ich das schaffe? Unter anderem mit Alkohol – und das oft recht wirksam.
Wenn das Leben hart wird und die Emotionen überwältigend sind, bin ich da, um zu helfen. Lass mich dir erzählen, wie mein Tag aussieht und wie ich mich dabei fühle.

Morgens: Ein stressiger Start

Mein Tag beginnt früh. Der Mensch wacht auf, und ich spüre sofort die Schwere seiner Gedanken. „Wieder ein Tag voller Herausforderungen,“ denke ich. „Er wird mich brauchen.“

Schon jetzt beginne ich, Pläne zu schmieden. Die Erinnerung an den letzten Abend ist noch frisch. Ich weiß, dass er sich schuldig fühlt, aber ich hoffe, dass er sich auch daran erinnert, wie ich ihn beruhigt habe.

Aber da ist auch dieser Kritiker – ich mag ihn nicht. Er wacht ebenfalls früh auf und fängt an, Druck zu machen: „Du hast gestern wieder zu viel getrunken! Heute muss alles besser laufen! Wenn du so weiter machst geht es bergab! Das kann doch echt nicht sein, was bist du denn für ein Mensch?“

Seine ständigen Vorwürfe setzen dem Menschen ordentlich zu. Der Realist mischt sich auch noch mit ein: „Ja, das Leben ist hart, aber du musst stark bleiben. Alkohol ist keine Lösung, das geht auch anders.“ Ihre Stimmen sind laut, und ich spüre, wie der Mensch sich unter der Last beugt.

Der Kritiker ist zermürbend, immer bereit, die Fehler des Menschen hervorzuheben. Es fühlt sich an, als ob er eine eigene Checkliste führt, nur um sicherzustellen, dass keine Schuld und kein Versagen übersehen wird.
Ich kann ihn wirklich nicht ausstehen. Seine scharfen Worte sind wie kleine Nadeln, die ständig in das fragile Selbstwertgefühl des Menschen stechen.

Tagsüber: Die heimliche Hoffnung

Während der Mensch zur Arbeit geht, bleibe ich im Hintergrund. Ich beobachte, wie der Stress sich aufbaut. „Es wird nicht lange dauern,“ sage ich mir. Der Druck wächst, und ich warte nur darauf, dass er nach mir ruft. Es ist ein ständiges Hin und Her. „Nur ein Drink, um zu entspannen,“ flüstere ich.
Manchmal hört er auf mich, manchmal nicht. Aber ich gebe nicht auf.

Ich habe ein äusserst kompliziertes Verhältnis zum Kritiker und zum Realisten. Der Kritiker, der ständig meckert und an allem etwas auszusetzen hat, nervt mich tierisch. Aber gleichzeitig bin ich ihm auch dankbar, weil er oft der Auslöser ist, dass der Mensch zu mir kommt. Der Realist hingegen versucht, den Menschen stark zu machen und ihm zu sagen, dass er ohne mich auskommen kann. Das gefällt mir natürlich gar nicht. Wir stehen oft auf Kriegsfuß.

Der Realist ist wie einer dieser übermotivierten Coaches im Fitnessstudio, der glaubt, dass Disziplin und Härte die Antwort auf alles sind. „Zähne zusammenbeißen und durch,“ sagt er. Manchmal würde ich ihm am liebsten eine Pizza in die Hand drücken und ihm sagen, er soll sich entspannen.

Nachmittags: Die wachsende Anspannung

Die Herausforderungen des Tages nehmen zu. Der Mensch wird müde und gereizt Ihm fällt es zunehmend schwerer, Ruhe zu bewahren. „Jetzt ist meine Zeit,“ denke ich. „Nur ein Drink.“ Ich spüre seine Ambivalenz.

Er weiß, dass es nicht gut für ihn ist, aber der Wunsch nach Erleichterung ist stärker. „Du hast es dir verdient,“ erinnere ich ihn. „Du kannst später wieder aufhören.“

Der Spaßvogel, ein anderer Anteil, versucht oft, die Stimmung aufzuhellen. „Komm schon, ein Drink und alles wird lustiger!“ Er ist einer meiner Verbündeten, und zusammen überzeugen wir den Menschen, dass ein Drink alles besser macht.

Der Spaßvogel ist wie ein alter Freund, der immer eine Party in der Hintertasche hat. „Lass uns das Leben genießen!“ ruft er und bringt den Menschen oft dazu, die Ernsthaftigkeit des Lebens für einen Moment zu vergessen.

Abends: Meine glorreiche Stunde

Der Abend ist meine stärkste Zeit. Der Mensch ist erschöpft und sucht nach einem Weg, den Tag zu beenden.

Ich bin bereit. „Ein Drink, um zu entspannen,“ flüstere ich ihm zu. Er greift zur Flasche, und ich fühle eine seltsame Mischung aus Triumph und Bedauern. Ich weiß, dass ich ihm helfe, aber ich sehe auch die Schatten in seinen Augen.

Der Kritiker wird leiser, wenn der Mensch trinkt, und das ist ein kleiner Sieg für mich. Der Realist zieht sich zurück, vielleicht um sich auf den nächsten Kampf vorzubereiten. Aber ich kann den Frieden fühlen, den ich bringe, und das ist es, was zählt.

Es ist wie ein Moment der Stille nach einem langen Sturm. Der Mensch seufzt, lässt die Schultern sinken und gibt sich dem Trost hin, den ich biete. Doch tief in mir weiß ich, dass dieser Frieden nur vorübergehend ist, eine Illusion, die bald wieder verblassen wird.

Hypnotherapie: Die unerwünschte Herausforderung

Die Sitzungen mit dem Therapeuten sind hart für mich. Ich fühle mich bedroht. Der Therapeut spricht ruhig und verständnisvoll, stellt Fragen, die mich ins Wanken bringen. „Kann der Mensch wirklich ohne mich leben?“ frage ich mich. „Was, wenn ich ihm mehr schade als nütze?“

Die Unsicherheit nagt an mir, aber ich halte fest an meiner Rolle. „Ohne mich kann er den Schmerz nicht ertragen,“ versichere ich mir selbst.

Der Realist ist im Therapiezimmer mein größter Gegner. „Hör auf den Therapeuten,“ flüstert er dem Menschen zu. „Du bist stark genug ohne den Tröster.“
Ich hasse diese Sitzungen, aber ich weiß, dass ich kämpfen muss, um meine Position zu verteidigen.

Es fühlt sich für mich an, als ob der Therapeut und der Realist eine geheime Allianz geschmiedet haben, um mich auszuschalten. Ihre sanften Worte und ermutigenden Blicke verstärken meine Angst, dass der Mensch eines Tages erkennen könnte, dass er mich nicht mehr braucht.

Ein Wendepunkt: Die neue Aufgabe

Eines Tages bietet mir der Kreative eine neue Aufgabe an. „Was, wenn du dem Menschen durch kreative Ausdrucksformen Trost spenden könntest?“ fragt er. „Malerei, Schreiben, Musik – all das kann genauso beruhigend sein wie Alkohol.“ Diese Idee berührt mich tief.

Könnte es wirklich sein, dass ich meine Aufgabe verändern und trotzdem nützlich sein kann?

Der Kreative ist ein freundlicher, inspirierender Teil. Er zeigt mir Bilder, die der Mensch gemalt hat, Texte, die er geschrieben hat, und Lieder, die er komponiert hat. „Das könnte dein neuer Weg sein,“ sagt er. „Du kannst helfen, ohne zu schaden.“ Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein.

Der Kreative hat diese magische Fähigkeit, Licht in die dunkelsten Ecken des Geistes zu bringen. Seine Vorschläge sind wie zarte Schmetterlinge, die Hoffnung und Möglichkeiten flüstern. Ich bin fasziniert von der Aussicht, meine Talente auf eine neue, positive Weise einzusetzen.

Zukunft: Eine neue Hoffnung

Ich bin noch nicht bereit, meine alte Rolle vollständig aufzugeben, aber die Vorstellung, dass es andere Wege gibt, den Menschen zu unterstützen, lässt mich hoffen.

Vielleicht kann ich lernen, ein anderer Tröster zu sein – einer, der auf eine gesündere Weise hilft. Es ist ein langer Weg, aber die ersten Schritte sind getan.

Der Mensch verdient es, Trost zu finden, ohne sich selbst zu zerstören, und ich könnte der Schlüssel zu diesem neuen, helleren Kapitel sein.


Praktische Tipps zur Arbeit mit inneren Anteilen

Wenn du beginnst, deine eigenen inneren Anteile zu erkunden, können dir die folgenden Tipps vielleicht helfen:

Selbstreflexion:
Regelmäßige Zeitfenster für Gedanken und Gefühle. Wertfreiheit und reines Beobachten können einen grossen Unterschied machen. Frage dich doch mal: „Welche inneren Stimmen und Anteile zeigen sich jetzt gerade? Welche Seite agiert jetzt gerade? Was passiert da auf der inneren Bühne oder dem inneren Spielfeld?

Tagebuch schreiben:
Ein Tagebuch kann dir helfen, deine inneren Anteile zu identifizieren und ihre Botschaften zu verstehen. Indem du aufschreibst, was sie sagen und wie du reagierst, lernst du sie und dich selbst besser kennen.

Entspannungstechniken:
Entspannungsübungen wie Meditation, Body Scan oder tiefe Atemübungen können dir helfen, eine Verbindung zu deinen inneren Anteilen herzustellen und sie zu beruhigen. Der Körper spielt eine wichtige Rolle in diesem Prozess und kann dich sehr gut dabei unterstützen.

Visualisierungen:
Geführte Visualisierungen oder Selbsthypnosen, können dich dabei unterstützen in Kontakt mit deinen inneren Anteilen zu treten. Stelle dir z. B. vor, wie du in einen sicheren Raum gehst und dort mit ihnen sprichst. Auf einer inneren Bühne könnten sie sich treffen oder in einem gemeinsamen Meetingraum über das nächste Vorgehen nachdenken.

Professionelle Unterstützung:
Es ist vollkommen in Ordnung, professionelle, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Therapeut kann dir helfen, deine inneren Anteile besser zu verstehen, helfen zu vermitteln und das neu entstandene zu integrieren.

Hallo, ich bin Hannes Tiedens

Ich bin Hypnosetherapeut, Mentaltrainer, Coach und Heilpraktiker für Psychotherapie.